In meinen Dreißigern habe ich oft unter Schulterschmerzen gelitten. Der Arzt zeigte mir die markanten Kalkablagerungen im Röntgenbild und bat mich, das Bild als Anschauungsmaterial für seine Studenten nutzen zu dürfen.
Ich unternahm einiges um diese Schmerzen loszuwerden: Krankengymnastik, Physiotherapie, manuelle Therapie, Stoßwellentherapie, ich trank Teufelskrallentee, nahm Voltaren. Wenn gar nichts mehr half, erhielt ich eine Kortison-Spritze in die Schulter. Dann war es für eine Weile wieder gut.
Im Sportstudio und beim Yoga musste ich mal mehr, mal weniger bei Übungen bzw. Asanas, die meine Schultern forderten, pausieren.
Als meine Orthopädin mir mitteilte, dass weitere Spritzen in die Schulter nicht so gut wären und ich ernsthaft über eine OP nachdenken sollte, wurde es wirklich ernst für mich.
Ich ging zum Feldenkrais-Gruppenkurs und hier hatte ich (nach einigen Unterrichts-Stunden) zum ersten Mal ein einschneidendes Erlebnis. Es war mir plötzlich bewusst, dass und wie ich die Schultern anspannte. Und diese Anspannung konnte ich nun bewusst loslassen. Das war so einfach und eine solche Erleichterung, dass ich es kaum glauben konnte. Nach einer Weile war die Wahrnehmung weg und die Verspannung wieder da. Da ich jedoch dieses Gefühl des „bewussten Loslassens“ kennengelernt hatte, wusste ich, dass es möglich ist.
Ich hoffte, nach der nächsten Feldenkrais-Stunde, wieder genau das Gleiche zu erfahren, musste aber lernen, dass das nicht genau so passiert. Ähnlich wie mit dem Schlaf, je mehr man ihn ersehnt, umso weiter flüchtet er.
In dem Vertrauen darauf und der Bereitschaft nichts erzwingen zu wollen, sondern offen zu sein, für das was passiert, machte ich weiter.
Ich wiederholte diese kleinen Bewegungen, zusätzlich zu den Feldenkrais-Lektionen, im Sitzen oder Stehen in der Bahn, im Bus, beim Warten in der Schlange, immer wieder, wenn ich Zeit hatte.
Und langsam merkte ich, dass die Wahrnehmung meiner selbst insgesamt sich veränderte und viel klarer wurde.
Je mehr ich mich mit der Feldenkrais-Methode und diesen Lektionen beschäftigte, umso genialer fand ich sie.
Ich kaufte mir Einzelstunden, FI/ „Funktionale Integration“ genannt. Ein Feldenkrais-Lehrer sagte nach einer dieser FIs zu mir: „wenn dein Brustkorb wieder lockerer wird, werden auch deine Schulterschmerzen nachlassen“.
Ich machte also weiter.
In den Feldenkrais-Lektionen wird jeweils der ganze Mensch in Bewegung gebracht. Auch wenn die Bewegungen klein und langsam durch- und ausgeführt werden, mal mehr der Bereich der Schultern und der Brustkorb, mal mehr das Becken, die Füße oder der Kopf aktiv sind, es geht immer um das gesamte Selbst.
Durch das Loslassen der Anspannungen wurde wieder Platz in meinen Schultergelenken. Durch die kleinen Bewegungen in teilweise sehr ungewohnten Richtungen und Positionen wurden Bereiche aktiviert, die vorher „geschlafen“ hatten.
Das Unmögliche wird möglich. Das aber nicht nach einer Lektion. Feldenkrais ist ein Prozess. Ist man einmal auf dem Weg, merkt man mehr und mehr, wo Verspannungen sind und wie man sie lösen kann. Manchmal erlebt man das bewusst, meistens jedoch unbewusst.
Es sind nun Jahre her, seitdem ich wegen meiner Schultern keine Tabletten nehme, keine Salben anwende, keine Krankengymnastik buche und selbstverständlich auch keine Spritzen mehr erhalte.
Natürlich spüre ich nach einem langen Arbeitstag am Schreibtisch auch die Anspannung in den Schultern. Aber ich besitze inzwischen das Werkzeug, um sie gleich wieder aufzulösen, ehe sie sich verfestigen. Das ist nicht immer Feldenkrais. Manchmal mache ich Yoga oder einen Power Kurs wie Bodycombat von Les Mills oder einfach einen Spaziergang.
Es sind die Feldenkrais-Lektionen in der Gruppe und im Einzelunterricht, die mir die Freiheit gegeben haben, mich schmerzfrei zu bewegen und die mir den Spaß an der Bewegung zurückgebracht haben.